Rohbautourismus in der Oststeiermark: 120 000 Menschen haben schon Hundertwassers Bauten für das Thermendorf Bad Blumau besichtigt


Auf dem Dach erhält die Natur zurück, was ihr genommen wurde

Von Andrea Weber


Immer wieder hat Friedensreich Hundertwasser seine Architekturvisionen gemalt: Farbenfrohe Häuser mit ungleichen Fenstern, Arkaden, Zwiebeltürmen, Säulen und Dachterrassen - wachsende organische Einheiten statt genormter Massenbehausungen. Als der Meister seinen langgehegten Traum schließlich im dritten Wiener Gemeindebezirk verwirklichen konnte, reagierte die Presse schon im Vorfeld ablehnend: Das Gebäude, das als "Öko-Haus" bereits in der Planungsphase Schlagzeilen machte, wurde als "programmierter städtebaulicher Skandal" und als abschreckendes Beispiel einer "inhumanen, üblen Architektur" verfemt. Abfällige Kommentare über den "Behübscher" der Stadtlandschaft und seine "Bioburg Marke Potjemkin" taten dem Erfolg des Experiments jedoch keinen Abbruch. Der Kunstbau entwickelte sich rasch zu einem dritten Anziehungspunkt neben Schönbrunn und Stephansdom.

Aus dem Wiener Vorzeigeobjekt mitten im grauen Einerlei des sozialen Wohnungsbaus wurde, was Kritiker nicht für möglich gehalten hatten: Ein Unikat mit Modellcharakter. Seit der Fertigstellung 1985 sind bisher zehn Wohn- und Nutzgebäude nach Hundertwasser-Entwürfen in Österreich und Deutschland entstanden, zwei weitere befinden sich im Bau.

Die jüngste Umsetzung des Hundertwasser-Ideals von einer menschlichen Architektur ist das im Entstehen begriffene Bad Blumau. Für das neue Thermendorf in der Oststeiermark nahe Graz hat der Künstler mit einer Ferienanlage ein weiteres Bauwerk entworfen, das seinem Ideal von umweltfreundlichem, menschenwürdigem Wohnen gerecht wird. Das aller Voraussicht nach weltweit größte Gesamtkunstwerk hat als Ziel eines neugierigen "Rohbautourismus" bereits mehr als 120 000 Besucher angezogen. Ausführender Architekt ist Peter Pelikan, der schon das Wiener Hundertwasser-Haus realisierte.


Mit Thermalwasser wird geheizt


Errichtet auf Quellen aus dem Neolithikum von bis zu 3 000 Metern Tiefe, in denen 100 Grad heißes Thermalwasser sprudelt, entsteht auf einer Gesamtfläche von 40 Hektar "Hügelwiesenland" das bislang umfangreichste Hundertwasser-Projekt, das ab der für Frühjahr 1997 terminierten Eröffnung teilweise bewohnbar sein wird.

Fassade als Beispiel
Der rechte Winkel ist dem Architektur-Künstler ein Greuel.

Die Häuser des farbenfrohen, phantasievollen Ensembles tragen ihre Form vorwegnehmende Namen wie "Augenschlitzhaus", "Rehrückenhaus", "Waldhofhaus" oder "Schneckenhaus". Ihre Dächer sind vollständig begrünt und begehbar. "Durch die Wald- und Naturbedachung der Häuser wird der Wohn- und Lebensraum der Bewohner fast verdoppelt, weil das sonst sterile und tote Dach zur Aufenthaltswiese, zum Privatwald, zum Urlaubshügel, zur Aussichtsplattform, zum Park und Garten wird", erläutert der Wiener Natur- und Architekturphilosoph seine Idee und fügt als grundsätzliche Überlegung hinzu: "Der Mensch muß auf den Dächern der Natur zurückgeben, was er ihr widerrechtlich unten beim Hausbau weggenommen hat."

In Blumau hat er mehr gegeben als er genommen hat - die "Mehrung der Natur" versteht Hundertwasser als Antwort auf die Zersiedelung der Landschaft in der modernen naturentfremdeten Gesellschaft. Die terrassenartige Schichtung der mit Einbuchtungen versehenen Erdmassen läßt Wohnräume entstehen, die sich trotz unterirdischer Lage um lichtdurchflutete Rundhöfe gruppieren. Alle Elemente des Komplexes sind baulich miteinander verbunden. Durch unterirdische, beheizbare Korridore, durch überdachte Gänge im Freien und über die begehbare Dachlandschaft sind die nächstgelegenen Gebäude zu erreichen. Asphaltierte Wege gibt es nicht, auch keine Straßenschneisen. Selbst die Parkmöglichkeiten sind unter der Erdoberfläche verborgen und entziehen sich so dem naturverbundenen Blick.

Getreu der Hundertwasser-Maxime wird es statt gerader Linien nur sanfte Schwingungen geben. Die gewellten Böden der sich schlängelnden Gänge fordern dazu auf, beim Gehen auf den Weg zu achten. Hochgezogene Kanten und Ausbuchtungen in den Fluren, gerundete Ecken bei Leisten und Türrahmen korrigieren den als "unmoralisch" verworfenen rechten Winkel, der allein bei den Rahmen der unsymmetrisch angeordneten Fenster verschiedenster Größen und Farben in Erscheinung tritt.

Beispiel mit Zwiebelturm
Zwiebelturm und Schlangenlinie: Friedensreich Hundertwasser will den Blick lenken und sensibler machen.

Die bizarr applizierten Kacheln auf Säulen und Wänden veranschaulichen die Aufwendigkeit einer Fassadengestaltung, die völlig auf standardisierte Bauelemente und Fertigteile verzichtet. Nach dem Zertrümmern werden die Mosaikteile ein zweites Mal gebrannt und glasiert, um scharfe Kanten zu glätten - mit einem Endpreis von 420 Mark pro Quadratmeter ein überaus kostspieliges Verfahren.

Auf die Umsetzung eines ökologischen Konzepts, beim Wiener Haus aus Spargründen letztlich auf Holzböden reduziert, wird auch in Blumau Wert gelegt. Die mit Baum- und Grasbedeckung wärmedämmend konstruierten Gebäude sollen mit Thermalwasser beheizt werden, Vollholzmöbel und ein weitestgehender Verzicht auf Kunststoffe werden die Einrichtung bestimmen. Doch der von Kritikern immer wieder ins Feld geführte Widerspruch zwischen propagiertem Ideal und steingewordener Realität dürfte ein weiteres Mal als Wermutstropfen für Sturm im Wasserglas sorgen: Der Naturprediger Hundertwasser kommt bei der Auswahl der Baumaterialien auch hier nicht ganz ohne Beton aus.


BT, 7.9.1996, Nummer 208
Fotos: Weber