Internet-Surfer hinterlassen Spuren.
Datensammler erstellen daraus
persönliche Profile
Von Christop Drösser
Ein Internet-Nutzer, wir nennen ihn Fred Schneider, steuert eine Suchmaschine im Internet an. Säuberlich tippt er Reiseangebote Mallorca in die Suchmaske. Beim nächsten Mal heißt sein Rechercheauftrag ans digitale Archiv Rollerblades. Und schließlich getraut er sich auch einmal, das Wort Sex in den Cyberspace zu schicken. Bald aber wächst in Schneider das Gefühl, beim Suchen erwartet zu werden. Die eingeblendeten Werbebanner und ihre Lockbotschaften passen exakt zu seinen Hobbys und Interessen: vier Wochen Balearen, Rollschuhe zum Sonderpreis, Erotik hier, Erotik da. Ein maßgeschneidertes Angebot. Schneider wähnt sich im Fadenkreuz zielsicher agierender Werber. Ist da draußen jemand, der alles über den Computerbenutzer Schneider weiß? Solche Erlebnisse könnten bald auf viele Internet-User zukommen: Am 30. Juni kaufte die amerikanische Firma CMGI die Suchmaschine Altavista, eine der meistgeklickten Netzadressen. Was nach einer üblichen Übernahme auf dem schnelllebigen Multimediamarkt aussieht, wird interessant, wenn man sich den Käufer näher ansieht: CMGI ist eine Holding aus etwa 40 Internet-Unternehmen, darunter die beiden Direktmarketingfirmen Engage und Adsmart. Deren Spezialität ist die Vermarktung sogenannter Personenprofile von Internet-Benutzern 30 Millionen davon hat man auf Lager, demografisch und psychografisch sind die Vorlieben der User erfasst, brüstet sich CMGI. Möglich wird das Ausforschen durch die sogenannten Cookies. Das sind unscheinbare Dateien, die sich zwar auf der Festplatte des Nutzers befinden, aber von jedem Internet-Rechner gelesen und beschrieben werden können. Altavista zum Beispiel verleiht dem Surfer eine Identifikationsnummer, sagen wir 9451600, und schreibt die in seine Cookie-Datei hinein. Beim nächsten Besuch wird die Nummer wieder ausgelesen und der Benutzer wiedererkannt. Der Computer bei der Suchfirma protokolliert nun penibel Schneiders Anfragen und notiert die Baleareninsel als sein liebstes Reiseziel. Zudem läuft Nummer 9451600 gern Rollschuh und ruft ab und an Erotikseiten auf. Das kann das eine oder andere Mal ganz falsch sein. Vielleicht hat er nur ein Angebot für einen Kollegen gesucht. Aber die Masse machts: Im Lauf der Zeit erstellt die intelligente Software ein immer detaillierteres, immer verlässlicheres Profil von Nummer 9451600. In Zukunft muss der Surfer davon ausgehen, dass jede Internet-Suche bei Altavista ein neues Mosaiksteinchen in einem ständig wachsenden persönlichen Profil ist, egal, ob er nach aufreizenden Bildern oder günstigen Gebrauchtwagen forscht. Hobbys, bevorzugte Reiseziele, Familiengröße, sozialer Status über all dies gibt die Datenbank Auskunft. Fred Schneider selbst kann weder die Überwachung seines Verhaltens verhindern noch die über ihn gespeicherten Daten einsehen. Eigentlich werden ja gar keine Daten über ihn gespeichert, sondern über den Benutzer mit der Nummer 9451600. Für den Betreiber der Suchmaschine sind das trotzdem nützliche Informationen. So zahlen etwa die Werbetreibenden erheblich mehr für maßgeschneiderte Reklame als für breit gestreute Anzeigen. Das Profil ist auch für andere Anbieter sehr interessant. Ein Online-Reisebüro kann sich beim Suchmaschinenanbieter eine Datenbank kaufen. Klinkt sich der Mallorca-Fan 9451600 ein, offeriert ihm die Website umgehend den passenden Strandurlaub. Bei diesem Datenhandel sind streng genommen gar keine personenbezogenen Daten verschoben worden denn keiner der Beteiligten weiß, wer sich hinter der Identifikationsnummer verbirgt, nicht einmal Schneiders E-Mail-Adresse ist bekannt. Die Firmen sind gar nicht unbedingt an der Person interessiert, erklärt Ulrich Kühn, Referent beim Hamburger Datenschutzbeauftragten. Es geht ihnen um die zweite Identität, die Netz-Identität, die durch solche Cookies geschaffen wird. Aber der Bezug zur realen Person ist unter Umständen leicht herzustellen: Wenn der Nutzer auch nur bei einer der vielen Firmen, die auf denselben Cookie zugreifen, namentlich oder mit seiner E-Mail-Adresse registriert ist etwa bei einem Online-Händler oder einem kostenlosen E-Mail-Dienst , dann lässt sich die Identität lüften. Ist diese wilde Datensammelei nun ein schwerwiegender Eingriff in die Privatsphäre des Surfers? Ja, sagen die einen, weil ohne sein Wissen intime Informationen gespeichert und gehandelt werden. Nein, sagen die anderen, weil zumindest im Fall anonymer Profile niemand etwas über ihn als Person weiß. Statt der nervtötenden Werbedusche, die er aus dem Fernsehen kennt, bekommt er das, was ihn wirklich interessiert. Die Positionen beschreiben die unterschiedliche Mentalität, mit der Europäer und Amerikaner an das Problem des Datenschutzes herangehen. Inzwischen droht angesichts dieser Gegensätze sogar ein atlantischer Streit um die Handelsware Information auszubrechen. Nach europäischer Ansicht ist die informationelle Selbstbestimmung ein unveräußerliches Grundrecht. Die hemmungslose Datensammelei gilt auch dann als problematisch, wenn die Profile nicht mit der realen Person verknüpft sind. Ein Verbraucher, der sich dagegen wehrt, hätte gute Chancen, damit juristisch durchzukommen, sagt der Datenschützer Kühn. Denn nach dem deutschen Multimediagesetz darf kein Anbieter heimlich Daten über den Internet-Nutzer sammeln und weiterleiten. Die große deutsche Suchmaschine Fireball, so versichert deren Chef Detlev Kalb, verzichtet zum Beispiel völlig auf Cookies.
Im Streit zwischen Europa und den USA
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Unter www.zeit.de/links/ finden Sie weitere Informationen über den Datenschutz im Internet und den Streit zwischen der EU und den USA |
Aus: DIE ZEIT Nr. 30 vom 22.Juli 1999, p27