Der Mensch ist, was er ißt: Gedanken über Philosophen und ihre Eßgewohnheiten


Rübchen für Goethe, Hering für Kierkegaard

Von Klaus Fischer


Was Pythagoras, Heraklit, Demokrit und Platon gern gegessen haben, wissen wir nicht. Der Philosoph Seneca dürfte als Hauslehrer des künftigen Kaisers Nero Hofkost zu sich genommen haben; dazu gehörten die damaligen Leckerbissen Schwanenfleisch und Pfauenzungen. Derlei Genüssen abhold war Diogenes von Sinope (400 bis 323 v. Chr.), der in einer Tonne hauste und gegen gesellschaftliche Zwänge und unreflektierte Bedürfnisbefriedigung wetterte. Diogenes wählte Quellwasser als Getränk, Brot als Nahrung und Kresse oder Salz als Gewürz. Feigen und andere wilde Früchte, Gras und Wurzeln vervollständigten seine Mahlzeiten. Besonders anspruchslos gab sich der Kyniker, wenn hohe Herrschaften ihm beim Essen Gesellschaft leisteten.

René Descartes (1596 bis 1650) träumte, auch im schwedischen Exil, von den damals noch seltenen und teuren Melonen. Im 18. Jahrhundert verbreitete sich - vor allem in Frankreich - die Einsicht der Materialisten, der Körper sei der einzige Zugang zur Erkenntnis. Der materialistische Philosoph Julien Offroy de La Mettrie (1709 bis 1751) steht in jedem Kleinlexikon, doch nur wenige können sich rühmen, ihn gelesen zu haben. Er verriet in seinem Essay "L'Art de jour", was die feine Küche und den Gourmet ausmacht. Eine gute Mahlzeit ist "vornehm und sinnlich, wohllüstig und feinfühlig"; der Feinschmecker "kostet von allen Speisen, nimmt aber nur wenig davon, er schont sich, um alles zu genießen". Ganz anders geartet war der ernste Amsterdamer Jude Baruch Spinoza (1632 bis 1677): Er ernährte sich bloß, um zu überleben. Als Tagesmahlzeit genügten ihm Milchsuppe und ein Krug Bier oder eine mit Trauben und Butter verfeinerte Grütze.

Immanuel Kant
Immanuel Kant stellte bescheidene Ansprüche an das Essen.

Voltaire (1694 bis 1778) tafelte auf seinem kleinen Gut in Ferney bei Genf wie ein kultivierter Landedelmann. Bekannte lud er zu sich ein, um ihnen getrüffelten Truthahn vorzusetzen, "zart wie ein Täubchen und fett wie ein Bischof". Sein intellektueller Gegenspieler Jean-Jaques Rousseau (1712 bis 1778) pries in seinen Schriften den naturhaften Urzustand der Menschheit und war daher für einfache Kost - Milchspeisen, Gemüse, Obst.


Kant bestellte oft Schmorbraten 

Immanuel Kant (1724 bis 1804) verabscheute Bier, trank den Wein mäßig und bestellte bei seinem Diener Lampe sein Essen einen Tag im voraus; sein Lieblingsgericht war Schmorbraten. Die großen Deutschen der nachfolgenden Generation kann man als moderate Alkoholiker bezeichnen. Goethe (1749 bis 1832) leerte jeden Abend eine oder zwei Flaschen Bordeaux; er trank Weißwein mit Fachinger verdünnt. Sein Berliner Freund Zelter besorgte ihm als willkommene Bereicherung des damals noch kargen winterlichen Speiseplanes zarte Teltower Rübchen. Auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 bis 1831) trank Médocweine, und zwar fäßchenweise. Sören Kierkegaard (1813 bis 1855), der Philosoph der Angst, nährte sich, wie die meisten seiner Landsleute, von Räucherfisch und Fischmarinaden, dem ärmlich zappelnden Bestand der Ostsee an Heringen und Sprotten. Arthur Schopenhauer (1788 bis 1860), Verfasser der grundgelehrten und tiefsinnigen "Welt als Wille und Vorstellung" hatte von seinen Eltern nur ein kleines Vermögen geerbt, das er bis zu seinem Tod durch geschicktes Wirtschaften verdoppeln konnte; und dies, obschon er in den besten Frankfurter Hotels zu Abend speiste, ohne zu sparen, und in Berlin eine Geliebte unterhielt.

Sein Zeitgenosse Ludwig Feuerbach (1804 bis 1872), ist der vielzitierte Autor des Satzes "Der Mensch ist, was er ißt", den philosophisch zu begründen schwierig ist. Der Materialist und Sensualist Feuerbach hat sowohl Marx als auch Nietzsche beeinflußt. Friedrich Nietzsche (1844 bis 1900), hat als erster deutscher Philosoph viel und gründlich über das Essen nachgedacht. Er empfand Argwohn sowohl gegenüber Vegetariern wie gegen das Allesessen und Allerverdauen. Als die ihm zuträglichste Küche sah er die piemontesische an, der deutschen Küche warf er Mangel an Finesse vor: Suppe vor der Mahlzeit, ausgekochtes Fleisch, fett und mehlig angerichtete Gemüse. In Opium und Narkotika sah er menschenfreundlichere Genußmittel als in Bier und Branntwein. Die Frau als Köchin war für ihn der Inbegriff der Gedankenlosigkeit.

Von einer mageren Basler Dozentenpension lebend, konnte Nietzsche sich nur in Ausnahmefällen Fleisch leisten, nach dem er gierte. Zu den Genüssen, denen er frönte, gehörte klares Quellwasser, aber auch Kakao. Seine Mutter sandte ihm Lachsschinken in stattlichen Qualitäten.

Ein gleichgültiger Esser war Jean-Paul Sartre (1905 bis 1980). Der Philosoph mütterlicherseits elsässischer Herkunft, verabscheute Muscheln, Krebse, Langusten, überhaupt alle Lieblingsgerichte der von ihm gehaßten Bourgeoisie. Annie Cohen-Solal hat aufgelistet, was Sartre innerhalb von 24 Stunden zu sich zu nehmen pflegte: zwei Päckchen Maispapier-Zigaretten und zahlreiche Pfeifen, einen Liter Alkohol, 200 Milligramm Amphetamin, 15 Gramm Aspirin, mehrere Gramm Barbiturate, ein Röhrchen Corydran. Und so habe ich ihn von seinem letzten Besuch in Straßburg her in Erinnerung: fast betäubt von seiner Überdosis Aufputschmittel, Alkohol und Tabak, zusammengesunken vor einem Teller Sauerkraut in einer zweitrangigen Brasserie unweit des Kleberplatzes, achtlos ein Würstchen mit Senf bekleckernd, überragt von Simone de Beauvoir, aus deren Gesicht nicht das triumphierende Lächeln bedürfnisloser Selbstgerechtigkeit weicht.

Jean-Paul Sartre
Drogenkonsum statt Schlemmerfreuden: Jean-Paul Sarte war absolut kein Gourmet.


BT, 7.9.1996, Nummer 208
Fotos: av